Gibt es auch genug Gas, wenn die russischen Gaslieferungen nach Österreich ausfallen?
Ja. Analysen unterschiedlicher Szenarien der Österreichischen Energieagentur in Zusammenarbeit mit der Regulierungsbehörde E-Control zeigen für den Betrachtungszeitraum Mai 2024 bis Mai 2026, dass Österreich im Falle eines Ausfalls russischer Gaslieferungen über die Ukraine nach Österreich keine Gasmangellage zu erwarten hat.
Im Vergleich zum Beginn der Energiekrise (Februar 2022), als die Gasspeicher nur zu 30 Prozent gefüllt waren und Russland seine Gaslieferungen gedrosselt hat, ist die Situation aufgrund von niedrigerem Gasverbrauch und mehr Gas-Bezugsquellen nun deutlich besser.
Die Ukraine hat angekündigt, ein Gastransitabkommen mit der russischen Gazprom, das Ende 2024 ausläuft, nicht mehr zu verlängern. Das Klimaschutzministerium, die Regulierungsbehörde E-Control, der Marktgebietsmanager für Gas AGGM sowie die beiden Fernleitungsbetreiber Gas Connect Austria und Trans Austria Gasleitung haben sich daher auf das Auslaufen des Gastransits durch die Ukraine vorbereitet und geht von folgenden möglichen Szenarien aus:
Situation einer ungestörten Lage
- Die angemeldeten Mengen am Gasmarkt werden wie geplant für die Stunden des jeweiligen Gastages physisch erfüllt. Das heißt, es fließt genau so viel Gas in den Pipelines wie gemeldet wurde.
- Gemäß dem sich daraus ergebenden Bild ist die Versorgung in Österreich sichergestellt.
Situation Reduktion von Gaslieferungen am Einspeisepunkt Baumgarten - Marktteilnehmer renominieren erfolgreich bzw. rufen Ausgleichsenergie ab
- Die angemeldeten Mengen werden wie geplant für die Stunden des jeweiligen Gastags physisch erfüllt, sind jedoch niedriger als üblich.
- Die Liefereinschränkung am Einspeisepunkt in Baumgarten wird von den Marktteilnehmern entweder durch alternative Mengenanmeldungen an anderen Einspeisepunkten (z.B. Gasspeicher, Gasimporte von Deutschland und/oder Italien nach Österreich) kompensiert, oder die Marktteilnehmer kompensieren die Liefereinschränkung durch den Einsatz von Ausgleichsenergie.
- Gemäß dem sich daraus ergebenden Bild und der Reaktion der Marktteilnehmer ist die Versorgung in Österreich sichergestellt.
Situation Reduktion von Gaslieferungen - Abrufe aus der Strategischen Gasreserve
- Die angemeldeten Mengen werden wie geplant für die Stunden des jeweiligen Gastags physisch erfüllt, sind jedoch deutlich niedriger als üblich.
- Durch die niedrigeren Mengen an Gas, die am Einspeisepunkt in Baumgarten von der Slowakei aus ankommen, ergibt sich eine signifikante Liefereinschränkung. Im Normalfall ist davon auszugehen, dass diese durch Marktmechanismen abgedeckt werden kann. Sollten unvorhergesehene Ereignisse eintreten, ist auch der Abruf von Gas aus der strategischen Gasreserve möglich, die als Sicherheitspolster für die Gasversorgung Österreichs angeschafft wurde.
- Dieser Abruf ist eine Energielenkungsmaßnahme, die bei Gefahr im Verzug per Verordnung durch die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie angeordnet wird. Gleichzeitig zur Verordnung wird auch ein Antrag auf Erteilung der Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates erlassen.
- Durch diese Maßnahme ist auch in diesem Fall die Gasversorgung in Österreich sichergestellt.
Nach wenigen Stunden wird die Ausgleichsenergie wieder durch die Marktteilnehmer beschafft. Damit sind Angebot und Nachfrage wieder selbständig im Einklang.
Österreich hat im Falle eines Ausfalls russischer Gaslieferungen aus folgenden Gründen keine Gasmangellage zu erwarten:
1. Hohe Gas-Speicherstände
Mit Stand Mitte November 2024 liegt der Füllstand der Gasspeicher in Österreich bei 92 Prozent, was rund 94 TWh entspricht. 20 TWh davon stehen der Republik Österreich als strategische Gasreserve zur Verfügung. Das ist deutlich mehr als der Erdgasverbrauch im gesamten Vorjahr.
2. Wenig Verbrauch von Gas
Der Gasverbrauch liegt 2024 (bis inklusive 18. Dezember 2024) rund 19 % unter dem Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2022. Die Gründe für den niedrigeren Gasverbrauch sind überdurchschnittlich hohe Temperaturen in den vergangenen Jahren, Effizienzmaßnahmen, reduzierte industrielle Aktivität, betriebliche Umstellungen beim Einsatz von Gas und der Ausbau erneuerbarer Energie in der Strom- und Wärmeerzeugung.
Abgeleitet von historischen Erfahrungswerten kann für 2024 ein Jahresgasverbrauch zwischen 73 und 76 TWh erwartet werden, womit man ein Hochverbrauch-Szenario (89 TWh Jahresverbrauch) de facto ausschließen kann.
3. Importmöglichkeiten aus Deutschland und Italien
Aktuell lassen die technischen Kapazitäten einen Jahresimport von 185 TWh Gas via Deutschland und Italien in das Marktgebiet Ost zu. Die Marktgebiete Tirol und Vorarlberg haben gemeinsam einen Verbrauch von jährlich rund 6 TWh und werden schon heute zu 100 % über Deutschland versorgt. Im Oktober 2024 ist die gesamte Importkapazität via Italien und Deutschland in das Marktgebiet Ost wegen der Erweiterung der Infrastruktur für den Import aus Italien via Arnoldstein von 160 auf 185 TWh pro Jahr gestiegen. Wenn der erste Teil des WAG-Loops (West-Austria-Gasleitung) fertiggestellt wird, steigt die Importkapazität aus Deutschland und Italien in das Marktgebiet Ost auf 212 TWh pro Jahr. Die Ausweitung von Importkapazitäten erhöht Sicherheiten und wirkt entspannend auf Preise.
4. Diversifiziertere Gasversorgung in Österreichs Nachbarländern
Deutschland und Italien haben ihre Gasversorgung so aufgestellt, dass sie kein Pipeline-Gas aus Russland mehr beziehen müssen. Abflüsse aus Österreich in diese Länder gibt es derzeit nur durch Gasspeicherbewegungen Die anderen Nachbarländern können auf diese Importländer ausweichen:
- Slowenien (rund 8 bis 10 TWh Verbrauch p.a.) kann gegebenenfalls auf Importe aus Kroatien, Italien und Österreich ausweichen.
- Ungarn (rund 100 bis 110 TWh Verbrauch p.a.) kann gegebenenfalls auf Importe aus Österreich, Rumänien , Serbien, Kroatien, Slowakei und Ukraine ausweichen.
- Slowakei (rund 50 bis 55 TWh Verbrauch p.a.) kann gegebenenfalls auf Importe aus Polen, Tschechien, Österreich und Ungarn ausweichen.